Bergschule St. Elisabeth

Staatlich anerkannte katholische berufsbildende Schule

Wir bleiben hier!

„Frau König, gucken Sie mal?“

Deutschlehrerin Claudia König findet den Unterricht mit den Flüchtlingen spannend: "Sie fordern mich mit ihrem Eifer und ihren Fragen immer wieder neu heraus." Foto: SMMP/Ulrich Bock
Deutschlehrerin Claudia König findet den Unterricht mit den Flüchtlingen spannend: „Sie fordern mich mit ihrem Eifer und ihren Fragen immer wieder neu heraus.“

30 Flüchtlinge besuchen an der Bergschule das Berufs­vor­berei­tungs­jahr zum Spracherwerb – die Erfahrungen sind positiv

Mit dreien ihrer neuen afghanischen Schüler hat Deutschlehrerin Claudia König eine Wette abgeschlossen: „Wenn Ihr unser Alphabet könnt, lerne ich auch Farsi.“ Was sie nicht ahnte: Die Flüchtlinge, die seit dem 9. Februar an der Katholischen Berufsbildenden Bergschule St. Elisabeth in zwei Gruppen des sogenannten Berufsvorbereitungsjahres zum Spracherwerb unterrichtet werden, lernten das Alphabet viel schneller als die Lehrerin dachte.

Die jungen Männer und drei jungen Frauen sind äußerst ehrgeizig und lernwillig. Und nun sieht sich ihre Lehrerin den Schriftzeichen der persischen Sprache gegenüber, die sich oft nur durch winzige Punkte voneinander unterscheiden.

Verständnisfragen gibt es viele. Claudia König versucht sich jedem Schüler so gut es geht einzeln zuzuwenden. Foto: SMMP/Bock
Verständnisfragen gibt es viele. Claudia König versucht sich jedem Schüler so gut es geht einzeln zuzuwenden.

Zugleich macht ihr diese Wette aber deutlich, welchen Herausforderungen Flüchtlinge in den beiden Klassen ausgesetzt sind: „Einige von ihnen sind Analphabeten. Und hier sollen sie eine völlig neue Sprache lernen, ohne sich die Vokabeln in ihrer Muttersprache daneben schreiben zu können. Das ist schon heftig.“

Genauso heftig ist das, was die 16- bis 20-jährigen Schüler bereits erlebt und hinter sich gelassen haben, bevor sie in Deutschland ankamen. „Ich war drei Monate lang unterwegs. Von Afghanistan aus ging ich erst in den Iran, von da aus über die Türkei und Griechenland bis nach Deutschland. Teilweise zu Fuß, mitgenommen im Auto, mit dem Bus oder im Zug“, berichtet Hussein fast schon in fließendem Deutsch.

Einige der Flüchtlinge können schon englisch lesen und schreiben. Andere müssen sich unser Schriftsystem ganz neu aneignen. Foto: SMMP/Bock
Einige der Flüchtlinge können schon englisch lesen und schreiben. Andere müssen sich unser Schriftsystem ganz neu aneignen.

Er ist 16 Jahre alt und kam allein. Da sein Vater tot ist, musste er schon mit elf Jahren die Schule verlassen und als Mechaniker in einer Autowerkstatt Geld verdienen. Mindestens 60 Stunden in der Woche. „Jetzt meinte meine Mutter: Das ist keine Zukunft für Dich. Sieh zu, dass Du hier wegkommst.“

Jetzt lebt er in der Villa Lampe, einer Jugendsozialeinrichtung der Salesianer Don Boscos in Nachbarschaft der Schule: „Da sind wir zu zwölft in einem Klassenraum. Alle sind aus Afghanistan.“ Und er betont: „Uns geht es hier gut.“

Lehrerin Claudia Großpietsch imponieren der Eifer und die Höflichkeit der Flüchtlinge. Foto: SMMP/Bock
Lehrerin Claudia Großpietsch imponieren der Eifer und die Höflichkeit der Flüchtlinge.

Die Träume motivieren

Hussein möchte später gern Informatik oder Grafik-Design studieren. „Viele dieser Flüchtlinge haben große Träume“, sagt Schulleiterin Gabriele Sachse. Und sie weiß, dass sich die für viele nicht erfüllen werden. „Aber solange sie diese Ziele haben, sind sie im Unterricht hoch motiviert. Und dann werden es auch einige schaffen.“ Vorausgesetzt, sie dürfen bleiben. Das wissen bislang die wenigsten.

Ausgestattet mit einem Starter-Paket, das die Schule mit Hilfe von Spenden des Einzelhandels organisierte, wurden die Schüler am 9. Februar in der Schule begrüßt. Und schon in den ersten Wochen haben sie erstaunlich viel gelernt. In der Klasse mit den leistungsstärkeren Schülern, die schon eine Schule in ihrer Heimat besucht haben, hat Claudia König zum Beispiel schon die Modalverben durchgenommen: Sätze mit können, dürfen, wollen, sollen, müssen oder mögen. „Das ist schon recht anspruchsvoll“, weiß die 28-Jährige.

Ihrem Kenntnisstand entsprechend wurden die neuen Schülerinnen und Schüler an der Bergschule in zwei Leistungsgruppen unterteilt. Foto: SMMP/Bock
Ihrem Kenntnisstand entsprechend wurden die neuen Schülerinnen und Schüler an der Bergschule in zwei Leistungsgruppen unterteilt.

Auf die Modalverben waren sie gekommen, als sie ihren Schülern beigebracht hatte, dass zwei Verben im Satz nicht hintereinander stehen. „Dann aber sagte einer, dass er hier sei, weil er Deutsch lernen möchte. Und ‚lernen möchte‘ sind zwei Verben in Folge. Also war ich in Erklärungsnot und entgegnete, dass Sätze mit Modalverben eine Ausnahme bilden. Da wollten sie sofort wissen, was Modalverben sind.“

Das ist es, was Claudia König an diesem besonderen Sprachunterricht liebt. „Die Schüler sind ungeheuer motiviert. Sie fordern mich immer wieder neu heraus. Und dabei werde ich selbst ganz neu für unsere Sprache sensibilisiert.“ Die Flüchtlinge dürfen eben nicht nur Deutsch lernen – sie wollen, mögen und können das auch.

Die Flüchtlinge und die anderen Schüler der Bergschule kommen gut miteinander aus. Die angehenden Erzieherinnen und Erzieher übernehmen auch Patenschaften. Foto: SMMP/Bock
Die Flüchtlinge und die anderen Schüler der Bergschule kommen gut miteinander aus. Die angehenden Erzieherinnen und Erzieher übernehmen auch Patenschaften.

Selbst dann, als die Schüler zu zweit arbeiten, sich Fragen stellen und gegenseitig schriftlich beantworten sollen, rufen sie immer wieder nach ihrer Lehrerin: „Ist das so richtig?“ – „Frau König, gucken Sie mal.“ Einige sagen auch Frau Claudia und duzen sie, weil der Umgang mit Vor- und Nachnamen in ihrer Heimat ein anderer ist.

Höflich und aufmerksam

Aber es ist nicht nur die hohe Motivation der Flüchtlinge, die den Lehrern an der berufsbildenden Bergschule imponiert, sondern genauso ihre Freundlichkeit und Aufmerksamkeit. Das hat auch Claudia Großpietsch während ihrer 28-jährigen Tätigkeit seit 1988 an dieser Schule so noch nicht erlebt.

Claudia König erklärt ihren neuen Schülerinnen und Schülern nach dem Unterricht noch den Unterschied zwischen "in" und "im". Foto: SMMP/Bock
Claudia König erklärt ihren neuen Schülerinnen und Schülern nach dem Unterricht noch den Unterschied zwischen „in“ und „im“.

Sie unterrichtet in der A-Klasse, zu der die Analphabeten gehören. „Wenn ich hier gleich mit diesem Recorder und meiner dicken Tasche aus dem Raum gehe, kommt sofort jemand, der mir etwas abnimmt und tragen hilft.“ Sie verlässt den Raum – und tatsächlich wird sie angesprochen.

„Das ist eine Erfahrung, die der ganzen Schule guttut“, sagt Gabriele Sachse. Der Bedarf zur Einrichtung solcher Klassen für über 16-Jährige, die nicht mehr in eine Regelschule gehen, war im Landkreis Eichsfeld vorhanden. Die Bergschule verfügte über die entsprechenden Kapazitäten. „Und im Kollegium erklärten sich sofort 14 Kolleginnen und Kollegen bereit, in diesen Klassen, teilweise auch zusätzlich, zu unterrichten.“

Konzentration: Die Flüchtlinge wissen den Unterricht wertzuschätzen und wollen möglichst viel lernen. Foto: SMMP/Bock
Konzentration: Die Flüchtlinge wissen den Unterricht wertzuschätzen und wollen möglichst viel lernen.

Auch die 500 Schülerinnen und Schüler der verschiedenen Bildungsgänge an der Bergschule wurden gut auf die Neuankömmlinge vorbereitet. „Dabei haben unsere angehenden Erzieherinnen und Erzieher Patenschaften für die 30 Schüler übernommen, so dass sie ihnen mit Rat und Tat zur Seite stehen, ihnen in den Pausen Gesellschaft leisten oder schon mal bei den Hausaufgaben auf die Sprünge helfen. Das klappt gut“, freut sich Gabriele Sachse.

Inzwischen haben die Lehrerinnen und Lehrer die Flüchtlinge schätzen gelernt. Wie Claudia König. Das zeigt sie unter anderem, indem sie versucht, Farsi zu lernen. Und sie weiß: „Da werden meine Schüler nicht locker lassen: Irgendwann muss ich die ersten Sätze in ihrer Heimatsprache mit ihnen reden.“ Aber die 28-Jährige will, kann und möchte das auch.

Auch bei der Partner- oder der Stillarbeit rufen die Schülerinnen und Schüler unentwegt nach ihrer Lehrerin. Foto: SMMP/Bock
Auch bei der Partner- oder der Stillarbeit rufen die Schülerinnen und Schüler unentwegt nach ihrer Lehrerin.